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Mit-Gefühl Mensch sein

Das aktuelle Zeitgeschehen fordert uns alle auf die ein oder andere Art. Einerseits ein übersprudelnder Informationsfluss aus Verschwörung, Theorie und fraglichem Expertenwissen, andererseits wissen wir nichts und sind darauf angewiesen, wie unsere Regierungen weiter entscheiden. Wir befinden in uns in einer Art Vakuum, in dem alles möglich und nichts sicher zu sein scheint. Eine Herausforderung, vor allem für den Kontrollmenschen des 21. Jahrhunderts, der sich aufgrund seiner wissenschaftlichen Errungenschaften so gern in Sicherheit wiegt.

Erschwerend hinzu kommt die Isolation, die sogar diesen modernen Menschen in die Knie zwingt, denn obwohl wir in den letzten Jahrzehnten alles dafür getan haben, für unsere Unabhängigkeit, unser Single Dasein, unsere „Ich schaff alles alleine“ Strategien – wir sind keine Inseln. Menschen brauchen Menschen. Das wird uns jetzt schmerzlich bewusst. Nicht nur, weil die wirtschaftliche Globalisierung zu zerbrechen droht, sondern vor allem im ganz kleinen Rahmen, wenn wir unsere sterbenden Verwandten im Pflegeheim nicht besuchen dürfen oder mit einer lieben Freundin spazieren gehen können.

Menschen brauchen Menschen. Selbst wenn sich in Krisensituationen jeder selbst der Nächste ist, irgendwann braucht auch das Selbst ein Du.

Was bleibt uns also? Was ist uns nicht verboten? Was können wir immer machen, egal, welche Zustände um uns herum herrschen?

Wir können wieder lernen, Mensch zu sein. Uns am Guten im Menschen orientieren. Und ja, das Gute im Menschen existiert. Wir sehen es, wenn wir beim Spazieren gehen (im gebührenden Ausmaß und entsprechendem Abstand, versteht sich) unseren Fokus auf das lenken, was schön ist. Kinder, die gerade laufen lernen, alte Pärchen, die immer noch friedlich gemeinsam auf einer Parkbank sitzen, Sonnenlicht, das auf der Wasseroberfläche glitzert. Klingt nach Kitsch und Heimatfilmidylle? Macht nichts, setzt Serotonin frei. Genauso wie wahrhaftiges Zuhören gut tut, einem selbst und demjenigen, der gehört wird. Zuhören ohne Bewertung, Berichtigung oder Beschwichtigung, einfach hören, wie es dem Gesprächspartner wirklich geht, sei es innerhalb der Familie (da ists besonders schwer, aber ein tolles Lernfeld), mit Freunden oder der Mitarbeiterin im Supermarkt. „Mit-Gefühl“ ist für mich die Chance durch diese (und sämtliche) Krise(n) zu kommen.

Ja, es gibt entsetzliche Ereignisse, die fernab jeglicher Menschlichkeit stattfinden. Viele davon zeigen sich in dieser Situation noch deutlicher. Umso wichtiger erscheint mir, das Mensch sein wieder zu üben, um für Menschen in Not wirklich da sein zu können, durch ein Gespräch oder aktive Hilfe. Auch hier mit Mitgefühl, nicht mit Mitleid, denn wer mitleidet und einem anderen hilft, hilft letztlich sich selbst bzw. nährt und beruhigt sein Ego.

Niemand verbietet oder kontrolliert uns, wenn wir uns menschlich verhalten, zu unseren Ängsten und Schwächen stehen bzw darüber reden geschweige denn jemand anderem zuhören, der uns erzählt, wie es ihm geht. Ich glaube, dass sämtliche Machenschaften, welche auch immer noch auf uns zukommen, weniger Chance haben, wenn wir als Menschen zusammen stehen und uns erinnern, das wir nur als Gemeinschaft funktionieren. Als unterstützende, wertschätzende Gemeinschaft, in der Menschen sich selbst und andere respektieren, achten und mitfühlend miteinander umgehen. Utopia? Möglicherweise. Aber machbar, wenn wir wieder lernen, Mensch zu sein.

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